»Ein Mann kann sagen, dass er liebt, eine Frau hingegen kann das nicht«, bemerkte sie. »Nein, ich glaube, auch der Mann kann und darf nicht sagen, dass er liebt«, antwortete er. »Warum denn nicht?«, fragte ich. »Weil es immer eine Unwahrheit sein wird. Was ist das für eine wichtige Entdeckung, dass ein Mensch liebt! Als ob, wenn er dies Geständnis gemacht hat, plötzlich wie mit einem Knall etwas dastände! Klapp: er liebt! Als ob in dem Augenblick, in dem er dieses Wort gesagt hat, etwas Außergewöhnliches geschehen müsste! Wunder und Zeichen – oder aus allen Kanonen gefeuert werden müsste. Ich glaube«, fügte er hinzu, »dass Menschen, die feierlich beteuern >Ich liebe Sie!< entweder sich selbst oder – was noch schlimmer ist – andere betrügen.« »Wie aber erfährt eine Frau, dass sie geliebt wird, wenn der Mann es ihr nicht sagt?«, fragte Katja. »Das weiß ich nicht«, antwortete er, »jeder Mensch hat seine eigene Ausdrucksweise. Und wenn das Gefühl da ist, wird es sich kundzugeben verstehen. Wenn ich Romane lese, muss ich mir immer vorstellen, was für ein verlegenes Gesicht der Leutnant Strelski oder Alfred machen muss, wenn er sagt: >Ich liebe dich, Eleonore!> – und nun denkt, es müsse etwas Außerordentliches geschehen, während bei ihm wie bei ihr alles beim alten bleibt: dieselben Augen, dieselbe Nase und alles dasselbe.«
Leo Tolstoi – aus dem Roman Familienglück
Mir fällt auf, dass es vielen Leuten schwer fällt, das Wort “Liebe” auszusprechen. “Ich liebe Dich” oder “Ich bin verliebt in Dich” sind Geständnisse, die oft erst nach langer Zeit – wenn überhaupt – ausgesprochen werden. Der Text von Leo Tolstoi hat eine wichtige Bedeutung für mich, weil es für mich zeigt, was wir von dem Satz “Ich liebe Dich” erwarten. Mit dem Geständnis der Liebe ist es nicht getan. Wir erwarten etwas vom Gegenüber. Wir erwarten womöglich dasselbe. In Filmen und Büchern gibt es immer wieder Szenen mit trockenem Humor, wenn die Antwort auf diese Aussage ein “Danke” ist.
Liebe in der heutigen Zeit ist mit einer Gegenleistung verbunden. Und reine Gegenliebe reicht oft nicht… Ich liebe Dich, wenn du mit mir schläfst. Ich liebe Dich, wenn du mit mir Zeit verbringt. Ich liebe Dich, wenn ich etwas davon habe…
Im Kindesalter kennen wir eine andere Form der Liebe. Die Bedingungslose. Die meisten Kinder erfahren von ihrer Mutter die bedingungslose Liebe. Bei dem Vater eines Kindes kann das natürlich auch sein, aber durch die Schwangerschaft ist das Band zwischen Mutter und Kind grösser. Diese bedingungslose Liebe wird aber den Kindern beim älterwerden immer mehr genommen. Der Liebesentzug wird zum Druckmittel. Du bist ein gutes Kind, wenn du gute Schulnoten hast. Du bist ein gutes Kind, wenn du dich benimmst.
Kein Wunder also, dass die bedingungslose Liebe, die keine Gegenleistung, keine Gegenliebe, keine Anwesenheit des anderen erfordert immer mehr verschwindet. Liebe sollte wieder etwas werden, dass jeder Mensch für sich erleben darf.
Ich darf lieben und ich will lieben!
Guter Blog.